Im Film stehen mehrere Themen im Fokus: der komplexe Ablauf des Wettbewerbs, die Vorbereitungen der Studierenden, der eigens für den Wettbewerb konstruierte Fall, aber auch die persönliche Entwicklung der Protagonisten. Was war Ihnen zu Beginn der Dreharbeiten besonders wichtig?
Gereon Wetzel: In der Vorbereitungsphase haben wir zunächst einen Fokus auf die Entwicklung der Studierenden gelegt. Wie würde die juristische Recherche über die komplexen Zusammenhänge des Falls ihre persönliche Haltung zu Massenüberwachung und Cyberkrieg verändern? Schnell wurde allerdings deutlich, dass es ja genau darum nicht geht. Also natürlich hatte jeder der Teilnehmer eine dezidierte Meinung zu diesem oder jenem, aber mit der Arbeit an dem Fall und der Aufteilung in Anwälte der jeweiligen Seite mussten sich alle zunehmend parteiisch geben und dies verwischte dann auch die realen Ansichten zur Thematik, ähnlich wie bei einem Schauspieler, der immer stärker in seine Rolle schlüpft. Die sichtbare Entwicklung fand vielmehr in den jeweiligen rhetorischen Fähigkeiten statt, wie die Teilnehmer als Anwälte zu überzeugen wussten.
Melanie Liebheit: Da wir die Studierenden, die vorher auch keinerlei Ahnung von Völkerrecht hatten, von Anbeginn begleitet haben und mit ihnen gemeinsam in den Fall eingestiegen sind, haben wir die Chance gesehen, sich auf für Laien verständliche Weise den juristischen und gesellschaftlich brisanten Fragen nach Spionage beziehungsweise Massenüberwachung und Cyberkriminalität im Völkerrecht zu nähern. Der Wettbewerb hat dabei für den dramaturgischen Rahmen gesorgt, denn es war von Anfang an klar, dass sie als Anfänger starten und sich sowohl in juristischer als auch in rhetorischer Hinsicht enorm entwickeln müssen, um am Ende bestehen zu können. Die Studierenden bei diesem Prozess zu begleiten, war für uns in der Anlage des Filmprojekts erst einmal spannend.
Schon der Titel des Films “Die Kunst der Widerrede” deutet an, dass das Fach der Rechtswissenschaften im Film eine zentrale Rolle spielt. Es wird als ein ebenso schwieriges, weil hochspezialisiertes, aber auch als überraschend spannendes Metier gezeigt, das in der Diskussion der Protagonisten und der Dynamik des Wettbewerbs lebendig wird. Woher stammt Ihr Interesse an diesem speziellen Fachgebiet?
Melanie Liebheit: Mein Vater war Richter, insofern bin ich mit den Diskussionen über Rechtsstreitigkeiten und Rechtsfragen groß geworden. Vieles in der Juristerei ist Auslegungssache und eine Frage der Argumentation, was letztendlich die Urteilsfindung beeinflusst. Dieses Ringen um gute und präzise Argumente, um seine Position durchzubringen, hat uns interessiert. Es gibt kaum Filme über das Justizsystem, höchstens über Justizskandale oder besonders prominente Fälle. Die juristische Routine ist sozusagen ein weißer filmischer Fleck auf der Dokumentarfilm-Landkarte. Es hat uns gereizt, einen filmisch spannenden Zugang zu diesem vermeintlich trockenen Fachgebiet zu finden.
Die Gestaltung der Ton-Ebene des Films oder auch die besonderen Perspektiven der Kamera, zum Beispiel über Bildschirme der Handys und Computer, unterstreichen ein weiteres Thema des Films: digitale Überwachung. Warum war es Ihnen wichtig, auch dieses hervorzuheben?
Gereon Wetzel: Ich denke, wir wären wohl nicht so einfach von diesem Filmprojekt zu überzeugen gewesen, wenn der fiktive Fall nicht diese starken Implikationen und diesen sehr aktuellen Realitätsbezug gehabt hätte. Daher war für uns der Inhalt und was man über dieses Gebiet selbst lernen kann, von großer Wichtigkeit. Die Studierenden und auch wir haben ja zum Teil einen sehr laxen Umgang mit unseren eigenen Daten. So war es natürlich paradox, dass die Teilnehmer permanent von einem Kamerateam umgeben waren, während sie über Massenüberwachung recherchierten. Irgendwann steigert man sich auch in eine Art Paranoia hinein und sieht in herumliegenden Handys nur noch die Möglichkeit von mitlaufenden Mikrofonen, oder die Laptopkameras regen die Phantasie an, was der Geheimdienst wohl gerade für Informationen über uns sammelt. Das führte dann irgendwann dazu, dass einige ihre Kameras abklebten. Dies alles war natürlich eine Steilvorlage für das Verwenden einer bestimmten Überwachungsästhetik in Bild und Ton.
Der Film hat einen nüchternen, beobachtenden Erzählstil, ohne Off-Sprecher oder sonstige Kommentare, gleichzeitig birgt er aber auch nahezu fiktionale Elemente. Hatten Sie spezielle filmische Vorbilder, die Sie zu diesem Film und seiner Form inspiriert haben?
Gereon Wetzel: Ich würde den Erzählstil gar nicht als so nüchtern bezeichnen. Immerhin gibt es einen relativ starken Einsatz von Musik, immer wieder Teile einer trailerartigen Verdichtung und viele aus der reinen Beobachtung entstandenen emotionalen Spitzen, die mittels eines hohen Schnittrhythmus zugespitzt werden. Nüchtern vielleicht dahingehend, dass wir - wie in allen unseren Filmen - Interviewsituationen und erklärende Texte aus dem Off eher vermeiden, um der Kraft des Dialogischen und Szenischen nicht den Raum zu nehmen. Vieles erklärt sich bei genauerem Zusehen von selbst und da, wo wir uns von Erklärungszwang befreien wollten, setzten wir kurze Texttafeln ein. Für mich, aber auch für Melanie Liebheit spielen die Filme des sogenannten Direct Cinema eine sehr stilprägende Rolle. Filme der US-Amerikaner wie Pennebaker, Leacock und der Brüdern Maysles aus den frühen 60er Jahren setzten mit den nun tragbaren Kameras auf die reine Beobachtung und das Erzählen von Prozessen durch eine ständige Anwesenheit der Kamera und das dadurch entstandene Vertrauensverhältnis mit den Protagonisten.
Melanie Liebheit: Was die fiktionale Ebene betrifft, so war relativ früh klar, dass wir den juristischen Fall, um den es in den Verhandlungen geht, in groben Zügen nachzeichnen müssen, damit überhaupt verständlich wird, worüber die Studierenden die ganze Zeit reden. Da der Fall selber wie ein Spionagekrimi geschrieben war und somit in sich schon spannend zu lesen war, haben wir uns dazu entschlossen, Passagen daraus für die Off-Erzählung zu nehmen. Das heißt, wir sind mit unseren Texten sehr nah am Original - auch die wörtlichen Reden waren größtenteils so im Originalfall angelegt. Auf der Bildebene haben wir uns dann für ruhige und lange Einstellungen entschieden mit klaren Bildinhalten, die nicht vom Gesagten ablenken. Hinzu kam dann noch die musikalische Untermalung mit einem Spannungsmotiv, die diese Passagen nochmals heraus gehoben hat. Stephan Diethelm, der Komponist, arbeitete hierfür mit Instrumenten die rein aus Glas gefertigt sind. Die Herausforderung war dann, die rein beobachtende Erzählebene geschickt mit der fiktiven Erzählebene des Falls zu verbinden.
“Die Kunst der Widerrede” ist Ihre erste gemeinsame Arbeit als Autoren-Team, wie kam die Zusammenarbeit zwischen Ihnen beiden zustande?
Melanie Liebheit: Gereon Wetzel und ich kennen uns von unserem Studium an der Filmhochschule München, wo wir beide Dokumentarfilm studiert haben. Darüber hinaus verbindet uns, wie Gereon eben schon beschrieben hat, dass wir beide die beobachtende Erzählform schätzen und gerne Prozesse filmisch begleiten. Diese Form des Arbeitens erfordert Zeit und Geduld, denn es geht häufig darum, einfach vor Ort zu sein und auf die richtigen Momente zu warten. Als Regie-Duo zu arbeiten hat den großen Vorteil, dass wir gleichzeitig die beiden Funktionen Kamera und Ton übernehmen können und stets gemeinsam entscheiden, ob wir in Situationen ausharren, wenn wir meinen, es ist für die filmische Erzählung notwendig.
Die Dreharbeiten liegen inzwischen fast drei Jahre zurück. Was ist aus den vier Protagonisten geworden?
Gereon Wetzel: Zwei der Trainer arbeiten inzwischen in Bundesbehörden und haben auch tatsächlich mit dem Themenfeld des Datenschutzes zu tun. Der dritte Trainer assistiert momentan einem Richter des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag, er kann sozusagen nun aus nächster Nähe beobachten, wie wichtige völkerrechtliche Entscheidungen zustandekommen. Die Studierenden haben inzwischen ihr Studium abgeschlossen. Clemens, Nina und Mahja haben ihren Schwerpunkt im Völkerrecht gefunden und die beiden ersteren fungierten auch als Trainer für die nachfolgenden Generationen von “Mooties”. Clemens führte zum Beispiel das Team 2018 als Rhetorik-Coach bis ins Viertelfinale der internationalen Runden in Washington.
Es liegt nahe, dass Sie viel Drehmaterial aus dramaturgischen Gründen nicht im Film zeigen konnten. Gibt es daraus etwas, das es zwar nicht in den Film geschafft hat, Ihnen aber am Herzen lag?
Melanie Liebheit: Wir haben die Dreharbeiten eigentlich mit dem Auswahlprozess des Teams begonnen. In dem Jahr, als wir gefilmt haben, hatten sich in München über zwanzig Studierende für den Jessup Moot Court beworben. Die Bewerber mussten ein dreistufiges Bewerbungsverfahren durchlaufen, bis die Coaches sich dann für die Zusammensetzung des Teams aus den vier Personen, die man im Film sieht, entschieden haben. Dieser ganze Aspekt ist leider rausgefallen, hätte aber einfach den Rahmen gesprengt. Darüber hinaus waren wir im gesamten Schnittprozess damit beschäftigt die Komplexität des Falls und der juristischen Argumentation zu reduzieren und uns auf einzelne wenige Aspekte und Themen zu konzentrieren. Da sind einige schöne Gesprächspassagen dem Schnitt zum Opfer gefallen, die aber für die gesamte Filmdramaturgie nicht wichtig oder gar bremsend gewesen wären.
Interview: Benedikt Hansen (3Sat)