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Völkerrecht unter Beobachtung: “Die Kunst der Widerrede” und die Ästhetik des Dokumentarfilms Post2PDF

Julia Faisst

Melanie Liebheits und Gereon Wetzels Dokumentarfilm “Die Kunst der Widerrede” spielt gekonnt mit der Lust des Zuschauers, geheime und nicht so geheime Prozesse zu erspähen. Zum einen verhandelt der Film hochaktuelle politische Themen, die sich verändernde Weltordnungen widerspiegeln: Massenüberwachung, Datenklau, Cyberkrieg, Ökoterrorismus. Zum anderen beobachten wir vier Münchner Jura-Studierende, die sich auf die „Weltmeisterschaft in Jura“ vorbereiten, den legendären Jessup Moot Court. Auf der Grundlage eines fiktiven Falls, der dem Snowden-Fall ähnelt, schlüpfen die vier in die Rolle von Anwälten, um gegen andere Teams den Rechtsstreit zweier erfundener Staaten auszufechten.
Schnell wird klar, dass nicht nur ihre Argumente hieb- und stichfest sein müssen, sondern auch die Art und Weise, wie sie ihre Argumente vorbringen. Dass die hochkarätig besetzte Richterbank (auch) eine Bühne ist, und die Vertreter des Rechts (auch) Schauspieler machen die Regisseure von Anfang an deutlich. Herz ihres Dokumentarfilms sind die Vorbereitungen auf den Fall, ganz wie in einer Casting-Show. Der Titel von Gereon Wetzels Werkschau, im Rahmen dessen der Film am 5.2.2019 im Eichstätter Filmtheater lief, ist Programm: „Beobachtung | Prozess“. “Die Kunst der Widerrede” nimmt den Prozess zum Thema und den Zuschauer mit auf Beobachtungsreise. So verfolgen wir die Jura-Studis bei ihren Recherchen zum Völkerrecht, beobachten sie bei nächtlichen Sitzungen in nüchternen Seminarräumen, wo sie mit der Hilfe von Coaches an möglichst würdevoller Körperhaltung arbeiten, wir werden Zeuge ihrer Anspannung. Immer auf der Suche nach dem gut gemachten Argument, sind die Studis mal aufgeregt, mal cool—und wirken durchweg authentisch.
Wir beobachten, wie viel Kunst darin steckt, rhetorisch überzeugend zu argumentieren, wie die jungen Leute ihr Auftreten perfektionieren, um in ihren Verhandlungen immer sicherer werden. Der Jessup Moot Court bietet die perfekte Gelegenheit zum Crashkurs: wie werde ich Expertin für Völkerrecht in sechs Monaten; aber auch: wie werde ich Experte für souveränes Auftreten. Mit der Hilfe von Handy-Kameras beobachten sich die Studis dabei selbst und setzen sich so auch mit der Rolle derer, die gefilmt werden, auseinander. Liebheits und Wetzels Dokumentarfilm macht sich dabei aber nicht nur den Kunstgriff des Films im Film zueigen. Weitere filmische Mittel der Überwachung kommen zum Einsatz. So werden wir mit verpixelten Vogelperspektiven konfrontiert, die Aufnahmen aus Überwachungskameras ähneln; Leitungen werden visuell und akustisch angezapft. Thema des Film ist eben auch: der Film als Medium. Wie kann er zur Überwachung eingesetzt werden? Verletzt er die Privatsphäre? Sind wir bereit, Sicherheit gegen Freiheit einzutauschen?
So wie der Film Vorbereitung und Fall gegeneinander schneidet, ist er aber noch mehr, nämlich eine Fallstudie über die Ethik der Rechtssprechung. Wie kann man das Recht interpretieren? Wie SOLL man es interpretieren? Können Krieg und Gewaltausübungen überhaupt klar definiert werden? Muss das Völkerrecht den neuen Realitäten angepasst werden? Recht, so legt der Film nahe, ist immer auch eine Frage der Interpretation. Rede und Gegenrede treten notwendigerweise in Wettbewerb. Die „Kunst der Widerrede“, also die Kunst, mit der eine gegensätzliche Haltung deutlich gemacht wird, ist natürlich eine Frage des Könnens. Aber sie ist eben auch das schöpferische Gestalten mit den Mitteln der Sprache in Auseinandersetzung mit der Welt.
Inwieweit sich in der filmischen Dokumentation Fakt und Fiktion vermischen, beziehungsweise die Fiktion dem Fakt den Rang abzulaufen scheint, ist eine Frage, an der sich Kritiker schon geraume Zeit abarbeiten. Konsens scheint, dass die kreative Umsetzung von Wirklichkeit, wie sie die Dokumentation vornimmt, dem Verlangen des Publikums nach Authentizität und Faktizität, also Tatsächlichkeit, entspricht. Auch Liebheit und Wetzel spielen gekonnt mit dieser ureigenen Ästhetik des Dokumentarfilms, bei der die Fiktion authentisch wirken muss, um als Fakt durchzugehen, während das Fakt ästhetisiert wird, um argumentatorische Schlagkraft zu entfalten.
Dass die Verhandlung des feinen Grades zwischen Fakt und Fiktion eines der Hauptanliegen des Films ist, legt sein Ende nahe. Hier treffen die Studis mit Asaf Lubin zusammen, dem Autor des fiktiven Falles. Lubin zitiert ausgerechnet aus einem Roman von John le Carré, ehemaliger Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes, aber natürlich vor allem Autor von Spionage-Bestsellern. Er bedient sich also eines fiktiven Werkes, um an die angehenden VölkerrechtlerInnen zu appellieren, rechtliche Grauzonen zu überdenken, gar rechtliche Grenzen neu zu bestimmen. Dann bedankt er sich dafür, dass sie einen fiktiven Fall derart erfolgreich zum Leben erweckt haben. So streicht der Film die Fiktionalität, die ihm eben auch zugrunde liegt, noch einmal heraus.

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