Fatima Abdollahyan über ihren Film
Was schuldet man dem Heimatland seiner Eltern? Das ist eine universelle Frage. Ebenso wie die, was man bereit ist, dafür zu geben.
Als mir mein Protagonist Ashraf El Sharkawy in den Tagen des „Arabischen Frühlings“ erzählte, er sei total besessen von der Idee, jetzt „etwas Sinnvolles“ zu leisten, war ich sofort von seinem Enthusiasmus angesteckt.
Ich habe Ashraf lange vor unserer neunmonatigen Drehphase gekannt. Schon vor der Revolution hatten wir oft diskutiert, was es für uns bedeutet, in Deutschland und nicht in Ägypten bzw. im Iran zu leben. Der Iran ist das Heimatland meiner Eltern. Wie ich, ist Ashraf in Deutschland geboren, aufgewachsen und hier zur Schule und Uni gegangen. Aber hatten wir nicht vielleicht gerade deswegen eine besondere politische oder soziale Verantwortung? Ashraf lieferte mir die Antwort auf diese Frage im Februar 2011.
Während des „Arabischen Frühlings“ hatte ich wie viele andere die heimliche Hoffnung auf einen „Iranischen Frühling“. Daher konnte ich dieses Gefühl von Dringlichkeit, das Ashraf ohne Rücksicht auf Verluste nach Kairo zog, gut nachvollziehen.
Neben allem anderen steht Ashrafs Bestreben vor allem für eines: die existentielle Sehnsucht nach emotionaler Vollständigkeit. Dieses Bestreben überschreitet die Grenzen sozio-politischer Konzepte. Es ist so universell wie das Gefühl, das die ganze Welt im Frühling 2011 hatte: Hoffnung.
Heute ist der „Arabische Frühling“ längst vorüber. Die Medien sprechen jetzt von einem „Arabischen Herbst“, gar einem „Arabischen Winter“. Der ursprüngliche Enthusiasmus musste Enttäuschung und Angst weichen. Die Enttäuschung über das Ergebnis der Wahlen in den verschiedenen arabischen Ländern. Und der Angst vor einer globalen Islamisierung, die nicht nur im westlichen Teil der Welt herrscht. Trotzdem, oder gerade deswegen braucht es Menschen, die an die Freiheit des Willens und an die Demokratie glauben und auch handeln – wie Ashraf.
Mehr als je zuvor müssen wir uns selbst immer wieder an ein paar grundlegende Wahrheiten erinnern: Politische Willensfreiheit ist eine Frage der Bildung, individueller Freiheit, Zivilgesellschaft – und Zeit.
Die Menschen der arabischen Welt, mit denen wir gehofft, geweint und mit denen wir uns vor zwei Jahren solidarisiert haben, sind immer noch die gleichen. Der Kampf um eine bessere Welt ist nicht zu Ende. Und wird es nie sein.
Ich hoffe, FREEDOM BUS trägt dazu bei, das nicht zu vergessen.
„Freedom Bus” – die Kampagne
Ashraf El Sharkawy beschreibt seine Kampagne:
Nach der Revolution in Ägypten gab es eine wahre politische Meinungsexplosion. Menschen quer durch alle Schichten hatten plötzlich das ungezügelte Bedürfnis, über Politik zu sprechen. Dieses Bedürfnis wollte ich auffangen und kanalisieren.
Die Idee des „Freedom Bus“ ist es, mit den Menschen über die Grundprinzipien der Demokratie in einen Dialog zu treten. Bis jetzt ist der „Freedom Bus“ sechs Monate quer durch die ägyptischen Provinzen gerollt. Das „Freedom Bus“-Team, das aus ca. 15 Leuten besteht, ist von Dorf zu Dorf und Stadt zu Stadt gezogen. Wir haben unser Informationszelt immer mitten im Zentrum eines Ortes aufgeschlagen, zum Beispiel auf einem Marktplatz oder an einer belebten Straße. Wir zeigten Lehrfilme mit Unterhaltungscharakter, wir verteilten Informationsflyer, die zu bestimmten Themen wie „Gewaltenteilung“ oder „Wahlabläufe“ speziell von Künstlern entworfen wurden. Dabei war es mir besonders wichtig, dass das gesamte Material inhaltlich von Ägyptern konzipiert wurde.
Das Wichtigste am „Freedom Bus“ aber ist das persönliche Gespräch, das die freiwilligen Helfer entlang eines vorgegebenen Gesprächsleitfadens initiieren. In den sechs Monaten entstanden darüber rege Diskussionen, hitzige Debatten, aber auch misstrauische Anschuldigungen. Da unser oberstes Gebot lautet, unparteiisch zu bleiben und niemanden in eine bestimmte politische Richtung zu drängen, konnten wir trotzdem immer schnell das Vertrauen der Straße gewinnen.
Der Bus rollt seit 18 Monaten nicht mehr. Es ist uns untersagt worden. Seit 18 Monaten versuchen wir, alle behördlichen Genehmigungen zu erhalten, aber leider erfolglos. Das Budget, das uns für 2012 und 2013 zur Verfügung gestanden hätte, konnte daher nicht ausgezahlt werden. Ich hoffe, dass wir 2014 entweder mit dem Bus oder in einer anderen Konstellation unsere Arbeit fortsetzen können.
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