Skip to content

Kirche im Meer Post2PDF

von Fritz Wolf

Die weltberühmten Verpackungskünstler Christo und Jeanne-Claude erläutern in München vor großem Publikum ihre Projekte und verkünden die Botschaft, dass man Durchhaltewillen braucht. Dreimal sei der Plan, den Reichstag zu verhüllen, zunächst abgelehnt worden. Im Publikum sitzen zwei junge Münchner Architekten, Anne Niemann und Johannes Ingrisch. Sie sind nicht berühmt, aber sie haben auch ein Projekt im öffentlichen Raum, das ihnen Durchhaltevermögen abverlangt. Es wird am Ende des Films abgelehnt werden - und Johannes Ingrisch wird vermuten, das wäre nicht geschehen, wenn sie nicht Newcomer, sondern schon berühmte Architekten wären.

“Lost Town” ist der Titel ihres Projekts, und so lautet auch der Titel des Films. Die beiden Architekten haben einen Wettbewerb einer britischen Entwicklungsagentur gewonnen, die mit Kunstprojekten an der britischen Ostküste den Tourismus beleben will. Seit vielen Jahren erodiert die Küste, Land ist im Meer verschwunden, Kirchen sind versunken und daran wollen die beiden Architekten mit einer Stahlskulptur auf dem Meer erinnern, die die Konturen der Kirchen zeichnet, zugleich Wasser und Licht im Wechsel spiegelt. Nicht billig, das Ganze, etwa vier Millionen Pfund sollte es kosten. Das war 2004.

Aber die Hoffnungen erodieren allmählich wie die Küste. In der kleinen Stadt Dunwich scheitert das Projekt am Votum der Einwohner, die lieber alles beibehalten wollen wie bisher. Projekt abgelehnt. Danach stockt das Vorhaben. Dann, ermuntert von Christo, machen die beiden sich wieder auf die Suche nach einem anderen Ort und finden Walton on Naze. Auch hier öffentliche Debatten, auch Gegner, aber mehr Befürworter, ein paar Promotoren im Ort. Doch es fehlt das Geld. Sponsoren müssen gefunden werden. Die britische Agentur zieht sich zurück, ein Windparkbetreiber sponsert lieber einen Fußballverein. Schließlich ein Architektenwettbewerb, der auf das Projekt genau passt, aber es gewinnen andere. Phasen der Niedergeschlagenheit, zwischendurch Brotarbeiten beider Architekten. Weitermachen oder aufgeben?

Der Dokumentarist Jörg Adolph filmt seine Protagonisten bei ihren stets neuen Anläufen, dreht die Diskussionen, begleitet die Recherche. 120 Stunden Filmmaterial wird er am Ende gedreht, mit vier Kameraleuten gearbeitet haben. Der aus diesem Material skulpturierte Film ist vielschichtig. Er erzählt von Leuten, die eine Idee haben und nicht aufgeben, sie verwirklichen zu wollen. Er erzählt vom Anfangen und von der Schwierigkeit, im Beruf eine gute Startposition zu finden. Er erzählt schließlich auch vom schwierigen Verhältnis von Kunst und Gesellschaft. Es finden sich immer genügend Menschen, die lieber Straßen oder Dächer repariert haben wollen, als ein luftiges stählernes Etwas auf dem Meer zu finanzieren.

“Lost Town” ist auch ein Film über alt und neu, über Lust und Unlust an der Veränderung. Ein britischer Stadtplaner, der in München lehrt, sagt einmal über seine Landsleute: “Sie haben das Selbstverständnis, so zu bleiben, wie sie sind. Sie können sich nicht daran erfreuen, modern zu sein. Suffolk und modern, das ist ein Widerspruch in sich.” Aber, macht er dann den beiden ratsuchenden Architekten Mut: “Projekte wie diese kommen manchmal zurück, sie schlafen nur.”

Jörg Adolph erzählt all dies in Bildern und Szenen, ohne Kommentar. Der Stoff des Films sieht auf Papier trocken aus, der Film selbst aber ist spannend und interessant. Das liegt auch an seiner Grundhaltung. Es vermittelt sich, dass er ins Offene hinein gedreht wurde, ohne Wissen darum, ob das Projekt gelingen, die Kirchen im Meer gebaut würden. Der Regisseur hat, als er von dem Projekt hörte, erst einmal auf eigene Faust und mit Mini-DV zu drehen begonnen. Es war auch später schwer, den Film finanziert zu bekommen. Es ging Adolph ein wenig wie dem Projekt. “Es ist gar nicht so einfach”, sagt der Filmemacher, “jemandem verständlich zu machen, dass man Jahr für Jahr an einem Film arbeitet, der nicht auf eine simple Lösung zusteuert, sondern immer komplizierter, immer unbeschreiblicher wird.” WDR und BR, von allen Sendern dem Dokumentarfilm noch am meisten zugetan, haben sich zum Glück überzeugen lassen.

Adolphs Filme beschäftigen sich meist mit Menschen, die einem weit gesteckten Ziel beharrlich folgen. Die Tischtennis-Weltmeister werden wie Timo Boll (”Klein, schnell und außer Kontrolle”), den Ärmelkanal durchschwimmen (”Kanalschwimmer”) oder einen Roman schreiben (mit John von Düffel in “Houwelandt - Ein Roman entsteht”). Auch Anne Niemann und Johannes Ingrisch sind von diesem Typus. Und deshalb ist ihr Scheitern noch lange kein Ende.

Fritz Wolf, aus epd medien Nr. 28 vom 14. April 2010

Post a Comment

Your email is never published nor shared. Required fields are marked *
*
*