Von Mark Stöhr
In München haben sich drei Filmkreative zu einem Autorenkollektiv zusammengeschlossen. DocCollection versteht sich als Plattform für den ambitionierten Dokumentarfilm und bringt im Jahr drei bis vier DVDs heraus. Die nächste Publikation: Melanie Liebheits Wiedergeboren in Westfalen.
Das hätte sich Lisa auch nie träumen lassen. Daß sie einmal zu einer heiligen Kuh wird. Bis vor zwei, drei Jahren führte sie ein ganz normales Leben zwischen Stall und Wiese irgendwo im Ruhrgebiet. Dann kam ein Priester in einem bunten Gewand und beguckte sie sich wie ein Scout einen Nachwuchsspieler. Sie bekam den Job. Der war nicht ohne: Scheißen bei der Einweihung des neuen Hindu-Tempels. Lisa durfte erst wieder nach Hause, nachdem sie auf den teuren Marmorboden eine ordentliche Ladung geschissen hatte. Seitdem ist sie eine heilige Kuh und ihr Bauer mächtig stolz auf sie.
Für das große Tempelfest sollen es aber zwei Elefanten sein. 20.000 Exil-Tamilen aus ganz Europa werden erwartet. Priester Sri Paskaran flüchtete selbst 1985 aus Sri Lanka nach Deutschland und ist ihr geistliches Oberhaupt. Der Gott Shiva hat seitdem eine deutsche Bodenstation: in Hamm-Uentrop. Das mit den Elefanten gestaltet sich schwierig. Die Frau vom Zirkus hat nichts gegen Blumenketten und bunte Punkte auf der Stirn. Aber den Tempelwagen ziehen? Ausgeschlossen, das packen sie nicht. Der Priester hängt zwischen Telefon und Terminplan. Die Straße vor dem Tempel muß geteert werden, damit sich die Selbstkasteier beim Umzug darüber rollen können. Und sind genügend Parkplätze vorhanden für den großen Tag?
Melanie Liebheit ist eine hinreißende Erzählerin. Ihr Dokumentarfilm Wiedergeboren in Westfalen verfolgt den Alltag des pragmatischen Priesters und seine Vorbereitungen für den Höhepunkt im Festkalender mit der perfekten Mischung aus Respekt und Humor. Die Konstellation an sich ist schon eine Pointe: Ein hinduistischer Tempel mitten in einem Gewerbegebiet. Drumherum nur eine Imbißbude und ein Krämerladen, deren Besitzer und Gäste sich an die Religiösen und ihre komischen Riten gewöhnt haben, aber trotzdem nicht so recht wissen, was das alles soll. Sie fiebern ihrem eigenen Highlight entgegen: dem alljährlichen Schützenfest.
Andere Dokumentaristen hätten daraus einen kontrastiven Clash der Kulturen gemacht oder einen harmonisierenden Brückenschlag zwischen den Gegensätzen. Liebheit nicht. Sie läßt das Fremdsein fremd sein und arbeitet fein die beiden Pfeiler des Zusammenlebens heraus: Arrangement und Differenz. Hindus, die zur rituellen Waschung in einen Industriekanal unter einer Autobahnbrücke steigen, und schnapsselige Schützenbrüder in Militäruniformen werden keinen gemeinsamen Kulturverein gründen. Müssen sie auch nicht. Davon handelt dieser Film.
Liebheit, Absolventin der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film, kommt fast ohne Interviews aus. Ihr reichen ihre präzise beobachtenden, manchmal pointiert zugespitzten Bilder. In einigen Situationen läßt sie die Einstellungen einen Tick länger stehen, als es für die Erzählung eigentlich nötig wäre. Es sind die wunderbaren Momente, in denen die Protagonisten sich aus ihrer Filmrolle lösen und sich wieder entspannen. Ein Augenzwinkern, ein fragendes Lächeln war ich gut? Ein solches Timing macht den Unterschied zur dokumentarischen Standardkonfektion. Das - und das Warten-Können. In einer Szene ganz am Ende steht der Krämer allein in seinem Laden. Die Pilger sind wieder abgefahren, die Schützen schlafen ihren Rausch aus. Keine Kunden, nichts passiert. Dann klingelt das Telefon. Die Züge des Mannes hellen sich auf, er sagt: »Das ist doch mal was anderes« und hebt ab. Auf der anderen Seite: niemand. Die Stagnation der Eingesessenen kondensiert in einem Bild und wirkt umso zementierter vor dem Hintergrund der wuseligen tamilischen Migranten mit ihren immer neuen Projekten.
Wiedergeboren in Westfalen erscheint im August als DVD beim neuen Autorenkollektiv DocCollection. Vor gut einem Jahr haben sich zwei Filmemacher und ein Produzent zusammengetan, um dem ambitionierten Dokumentarfilm eine unabhängige Plattform zu schaffen. Einer von ihnen ist Jörg Adolph, mit Filmen wie On/Off the Record (2002), Kanalschwimmer (2004) oder Houwelandt - Ein Roman entsteht (2005) vielfach ausgezeichnet. Dokumentarisches Gelingen, heißt es auf ihrer Website, sei zu flüchtig, »als dass es sich mit Formatvorgaben und Quotenerwartungen auf Dauer verheiraten ließe.« Und weiter: »Also benötigen wir zeitweiligen Unterschlupf in kulturellen Nischen.« Melanie Liebheit und ihr Film sind dort gut aufgehoben.
Mark Stöhr in: Schnitt #55/Juli 2009
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